Wie wir uns im Netz der Spinne zurechtfinden können

«Ich finde dich richtig doof!» Ist das schon Mobbing oder nur eine Meinung?
«Mobbing bezeichnet einen Prozess der systematischen Ausgrenzung und Erniedrigung eines anderen Menschen, die von einer oder mehreren Personen betrieben werden. Diese feindseligen Handlungen geschehen mit einer gewissen Regelmäßigkeit»(Stangl, 2021).
Nur weil jemand dich oder dein Werk also einmal als «doof» bezeichnet hat, ist das noch kein Mobbing. Der gehässige Kommentar ist der Definition nach nichts Weiteres als eine Meinung. Und diese Meinung ist von der freien Meinungsäusserung gedeckt, einem Recht, das wir nicht immer hatten. Es gibt sogar Länder, in denen es den Menschen bis heute verboten ist, frei zu sprechen. Wenn wir dieses Privileg schätzen und ausleben, müssen wir auch akzeptieren, dass andere Menschen andere Meinungen haben. Das kann natürlich zu Konflikten führen.

Es gibt Menschen, die sich beherrschen können, auf ihren Ton und Ausdruck wohlüberlegt achten. Auf andere trifft das weniger zu. Aus einem negativen Kommentar entsteht dann schnell ein Streit. Solche Situationen sind jedoch nicht mehr als Diskussionen, auch wenn diese mal aus dem Ruder laufen können. Klar, auch die Meinungsfreiheit hat Grenzen. Der Aufruf zu Straftaten kann bestraft werden, manchmal sogar schlimme Beleidigungen, später mehr dazu. Diese Extremfälle aber erst mal aussen vorgelassen, gilt im normalen Umgang: Wenn ich etwas an- oder vorhabe, das anderen nicht gefällt, ist es nicht mein, sondern deren Problem. Das gilt genauso umgekehrt.
Sollte eine Person aber über einen längeren Zeitraum regelmässig gehänselt, beschimpft und ausgegrenzt werden – und zwar wiederholt mit voller Absicht, – dann sprechen wir von Mobbing.
Wann findet Mobbing statt?

Gemobbt wird häufig, nachdem Schulklassen neu gemischt wurden. In der neuen Zusammensetzung ist die Gruppendynamik, also die Kräfteverteilung in der Gruppe, noch nicht geklärt. Alpha und Omega werden hier bestimmt – die Spitze und das Ende der Nahrungskette.
Aber auch nach dieser Rollenverteilung wird gemobbt. So kann es passieren, dass nach einer Auseinandersetzung der «verletzte Alpha» versucht, es dem Omega heimzuzahlen. Doch nicht nur die beiden Streithähne sind involviert.
An Mobbing ist immer die ganze Klasse beteiligt!

Was, wie bitte? Mein Kind würde so was nie tun», denken Sie als Elternteil jetzt.
Vielleicht mobbt Ihr Sprössling nicht bewusst. Unbewusst nimmt er dennoch teil. Dies wird klarer, betrachtet man Dynamik und Rollen des Mobbings.
In einer Klasse (und auch in andere Gruppen) werden wie in einem Theaterstück die folgenden Rollen verteilt: Täter, Opfer, Mitläufer, Zuschauer und Helden.
Helden gibt es leider noch zu wenige. Im Heldentum liegt nämlich auch die Gefahr, dass man durch die Hilfe für andere selbst zum Opfer wird, da man die Macht des Alphas infrage gestellt hat. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich in meiner eigenen Klasse die Gemeinheiten des Alphas nicht mehr ertragen konnte und mich hinter das Opfer stellte. Der Mobber war empört und machte mir aus Rache das Leben zur Hölle. Bis zu dem Punkt, als er sein nächstes Opfer fand.
Würde ich es heute wieder tun? Natürlich! Zusammen sind wir stärker!
Die Zuschauer wissen, was läuft, beteiligen sich aber nicht. Ich persönlich würde sagen, dies liegt nicht daran, dass sie emotionslos sind. Wahrscheinlich haben sie einfach Angst, selbst zu Opfern zu werden, wenn sie sich einmischen. Genau wie ich es damals wurde.
Die Mitläufer sind die treuen Gefährten des Täters. Sie sind diejenigen, die die Hand halten. Die Hand des Opfers versteht sich. Mit festem Griff, um dem Täter freie Bahn zu verschaffen. Sie haben sich entschieden, mit dem Alpha zu ziehen. Seine Stärke imponiert ihnen. Mit der Zeit entwickeln sie womöglich selbst Angst vor ihm und werden aus Selbstschutz zu Mittätern.
Doch wer wird zum Opfer?
Jeden, der nicht resilient ist, kann es treffen. Jeden, der in einem unbewussten Moment schwach erscheint. Generell gilt: Diejenigen, die emotional nicht sonderlich stark sind, werden schnell herausgepickt.
Wieso ist Cybermobbing schlimmer als «normales» Mobbing?

Früher hat Mobbing in der Schule oder im Verein stattgefunden. Hatte man Glück und zu Hause mit den Eltern eine gute Beziehung, konnte man als Opfer nach der Mobbingsituation seine Ruhe finden; sich vom Geschehen erholen.
Cybermobbing ist hingegen überall und immer da. Es verfolgt einen buchstäblich und macht das Leben zur Hölle.

Wir leben in einer Zeit, in der das Internet für viele zum Leben gehört wie die Luft zum Atmen. Ohne geht’s nichts mehr. Natürlich bietet das Netz viele Vorteile: Wir haben schier unbegrenzten Zugang zu einer Unmenge von Informationen. Wir können Daten und Projekte miteinander teilen und gemeinsam in Echtzeit bearbeiten, mit dem Rest der Welt kommunizieren und müssen dazu nicht einmal das Haus verlassen.

Doch jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten. So hat auch das Internet eine dunkle. Der digitale Raum wird allzu oft dazu missbraucht, andere Menschen anzugreifen, zu beleidigen, zu demütigen und zu verfolgen. Manipulierte Fotos, peinliche Videos und demütigende Posts werden mit dem Rest der Welt geteilt. Ganz öffentlich werden ausgewählte Personen monate-, sogar jahrelang schikaniert, gequält und zum Gegenstand schlimmer Gerüchte.

Cybermobbing wird nicht nur von Einzelpersonen betrieben. Aus der ganzen Welt schliessen sich anonyme «Hater» zu Hassgruppen zusammen, deren Mitglieder sich einander nicht einmal kennen.
Sie verstecken sich hinter Pseudonymen, um eine Person absichtlich zu verletzten, ohne dabei erkannt zu werden. Das Opfer kennen sie oft nicht persönlich. In der Anonymität und im Schutz des Internets wagen sie sich, wofür sie im echten Leben nie den Mut hätten.
Cybermobbing hört nicht auf.
Es verfolgt die Opfer bis ins eigene Zimmer, den privatesten Raum. Ohne Gnade, ohne Pause. Mobbing in der virtuellen Welt kennt weder Zeit noch Raum. Es läuft 24/7 – bis du den Stecker ziehst.
Wieso mobben Menschen?

Wenn man nur an der Oberfläche kratzt, lassen sich schnell viele einfache Gründe dafür finden, wieso Menschen andere mobben.
Oft beginnt es mit Spass: «Es war nur ein Witz», heisst es da. Auch könnte es sein, dass das Ausleben eines Machtgefühls oder das Bedürfnis, den eigenen Status in der Gruppe zu erhöhen, zu Mobbing führt. Genauso können aber auch Langweile, Rache, Neid, Frustration, Herkunft, Religion, Geschlecht und Sexualität als Erklärungsfaktoren dienen.
Doch wenn man etwas tiefer gräbt, treten noch viele weitere Faktoren zum Vorschein. So können Täter selbst auch Opfer sein und sich aufgrund der Gruppendynamik dazu gezwungen fühlen, sich auf anderer Menschen Kosten zu amüsieren. Mobbing kann ebenso Selbstschutz sein, um selbst nicht Opfer zu werden – nach dem Motto: «Lieber mobbe ich sie als sie mich».

Niemand wird böse geboren. Das Böse, wenn man es zulässt, wächst in uns allen. Eine kann es erfolgreich im Zaum halten und sich auf die guten Dinge im Leben konzentrieren, der andere nicht. Es ist gut möglich, dass der Täter zu Hause selbst ein Opfer ist. Vielleicht wird er auch ständig kritisiert, beschimpft oder emotional erpresst – von Familienmitgliedern, Nachbarskindern oder im Verein. Es gibt unzählige Geschichte, die zeigen, wie eine gute Seele den Druck nicht mehr ertragen konnte und selbst zum Täter wurde.
Wenn wir etwas ändern wollen, sollten wir das nicht vergessen.
Jemanden vor Gericht zu ziehen und zu verurteilen, löst das eigentliche Problem nicht; wir verdecken es nur. An der Ursache haben wir nicht gerüttelt, lediglich die Auswirkung bekämpft. Hinter jeder Handlung steht ein Bedürfnis. Identifiziert man dieses Bedürfnis, lässt sich auch eine Alternative finden, um es auszuleben, ohne anderen zu verletzen.
Auswirkung auf die Opfer

Mobbing kann dramatische, langfristige Folgen haben. Mobbing kann zu Selbstzweifeln, Angstzuständen, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Depressionen, Magenproblemen, Essstörungen, Selbstisolation und Verletzungen bis hin zu Suizid und Amokläufen führen.
Statistiken zeigen, dass Mobbing in der Kindheit und Jugend Folgen bis ins Erwachsenenalter haben kann und Betroffene häufiger an psychischen Erkrankungen leiden.
Wer trägt die Schuld?
Unsere Eltern, die uns Social Media & Co. frühzeitig und ohne Aufklärung oder Kontrolle erlaubt haben? Bei den anderen Kindern, die unsere Daten oder Geheimnisse missbraucht haben? Wer ist schuld daran? Schuld auf andere zu schieben ist die einfachste Art, damit umzugehen, aber ist es auch effektiv? Eine bessere Frage ist, ob wir unsere Zeit vergeuden sollten, um Schuldige zu finden.
Solltest du gemobbt werden, denk immer daran: Jeden kann es treffen. Egal, wie du aussiehst oder welche Persönlichkeit du hast. Aber du kannst etwas dagegen tun.

Ja, du kannst bewusst etwas dagegen tun, dass du deine Rolle als Mobbingopfer hinter dir lässt oder gar nicht erst in sie hineinschlüpfst.
Auch wenn du Elternteil bist, Lehrer, Freund oder Mitschüler. Wir alle können dafür sorgen, dass Mobbing aufhört.
Ein klarer Appell an alle Eltern: Es ist nicht zu leugnen. Die virtuelle Welt hat konkrete Auswirkung auf das reale Leben. Das Kind davon abzukapseln, nützt nichts. Will das Kind zu einer Gruppe gehören, braucht es dazu heutzutage eine App wie WhatsApp, Facebook, Instagram, TikTok oder Snapchat. Wir müssen unsere Kinder jedoch im Umgang damit aufklären.
Wir müssen ihnen zeigen, dass die virtuelle Welt nicht immer rosa ist und man Menschen begegnen kann, die ihren eigenen Frust an anderen auslassen wollen.

Daher ist auf die folgenden Punkte besonders zu achten
Kinder sollten mindestens zwei Mal darüber nachdenken, was sie mit anderen teilen.
Bedenke: Welches Foto oder Video kann später peinlich werden?
Doch was, wenn es zu spät ist und das digitale Mobbing bereits läuft? Wie geht’s jetzt weiter?
Ich weiss, es wird dir schwerfallen, aber REAGIERE NICHT.
Je mehr du dich erklärst und verteidigst, desto mehr Aufmerksamkeit gibst du den Tätern und befeuerst ihren Drang, weiter zu sticheln.
Auch wenn es erst mal peinlich ist: Rede darüber!
Erzähle, was dir passiert ist. Deinen Eltern, Lehrern, Trainern, Freunden. Erzähle es den Personen, denen du vertraust. Auch wenn sie vielleicht zunächst nichts dazu sagen können, ist es raus und kein Geheimnis mehr. Es kann sein, dass deine Eltern zunächst mit dir schimpfen werden und sagen, dass du es selbst verbockt hast. Sie sind in diesem Moment auch schockiert und benötigen Zeit, um zu verarbeiten, was sie soeben gehört haben. Solltest du das Gefühl haben, dass du niemanden an deiner Seite hast, kannst und solltest du eine Hotline anrufen.
Unten findest du Links zu Stellen, bei denen du dich melden kannst.
Eine Hotline kannst du auch anrufen, wenn nicht du der Betroffene bist, sondern deine Freundin oder dein Bekannter. Ich habe dir gezeigt, was passieren kann. Also rede mit ihm oder ihr. Zeige, dass sie oder er nicht allein ist. Rede mit Lehrern oder anderen Erwachsenen, denen du vertraust. Behalte es nicht für dich.
Sammle Beweise.
Mache Screenshots von Chatverläufen, von Texten und Bilder. Speichere Quellcode für den Fall, dass ihr einen Anwalt einschalten müsst. Melde Inhalte. Nicht nur, wenn es dich betrifft! Macht euch zusammen stark gegen Mobbing – auch im Internet.
Stelle deine Seite privat.
Blockiere Menschen. Lösche Kommentare, die nicht wahrheitsgetreu sind. An der Stelle muss ich mich wiederholen: Nur weil jemand dich oder was du tust, doof findet, ist es noch kein Mobbing. Es ist nur eine Meinung. Du hast auch eine Meinung von anderen, oder? Aber wenn dir einer das Leben schwer macht, lass es nicht zu.
Übe keinen Racheplan aus.
Feuer mit Feuer zu bekämpfen, erzeugt nur noch grösseres Feuer. Willst du auf dieses Niveau herabsinken?
Gesetzlich gilt

An dieser Stelle fühle ich mich wieder wie mit 18, als mein Papa mir an meinem Geburtstag meine Rechte aufsagte.
Ja, er war Polizist 🙂
Ihr seid jetzt aber etwas früher dran. Laut schweizerischer Kriminalprävention sind Kinder bereits ab 10 Jahren strafmündig und können aus strafrechtlicher Sicht in die Verantwortung gezogen werden.
Seideuchbewusst,wasimNetzallesstrafbarist:
- Fotos von anderen machen und ohne Erlaubnis hochladen
- Sich als jemand anderes ausgeben und in dessen Namen Sachen posten
- Jemandes Passwort knacken und dessen Konto hacken
- Jemandem drohen
Um noch mal das Wichtigste zu wiederholen:
Gib dir keine Schuld! Vergiss nicht: Wer jemanden mobbt oder hasst, ist oft mit seinem eigenen Leben unzufrieden. Es hat nichts mit dir zu tun! Wahrscheinlich lässt jemand nur seine eigenen Probleme an dir aus.

Das ist der Weg.
Hilfestellen für Kinder, Jugendliche und Eltern
https://www.projuventute.ch/de/eltern/familie-gesellschaft/sorgentelefon
Falls du noch andere Möglichkeiten, Hilfestellen kennst,
bitte teile es mit uns im Kommentar, danke!